Rund eine Woche ist der G20-Gipfel in Hamburg nun her. Der Gipfel an sich hat für wenig bis keinen Gesprächsstoff gesorgt. Die Ereignisse drumherum hingegen haben das Blut in den Adern vieler Unbeteiligter zum Kochen gebracht. Was wirklich passiert ist weiß man bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mit Sicherheit. Das hinderte aber diverse Diskutanten und Politiker nicht daran ihre Verurteilungen und Sofortmaßnahmen herauszuplärren.
Auch heute sind viele der Demonstrationsgeschnisse zumindest verworren und unaufgeklärt. Tatsächlich trafen in den wilden Tagen von Hamburg mehrfach Polizisten und Demonstranten aufeinander. Gerade diese Aufeinandertreffen geschehen immer an der Konfliktlinie zwischen grundgesetzlich verbrieften Rechten sowie dem Versammlungsrecht auf der einen Seite und die Auslegung derselben durch die Exekutive auf der anderen Seite. Man geht davon aus, daß mehrere 10.000 Demonstranten vor, während und unmittelbar nach dem G20-Gipfel ihre Grundrechte wahrnehmen wollten. Ihnen gegenüber standen rund 15.000 Polizisten.
Das Magazin “Der Spiegel” fasste die Ereignisse von Hamburg treffend in einer Überschrift zusammen: “Jeder hat die Fotos für sein Lieblingsvorurteil bekommen.” Schaut man sich die hyperbesorgte Schnappatmung in den sozialen Medien an, teilweise schon als diese Ereignisse noch liefen, kann ich nur mit dem Kopf schütteln. Es war in diesem Land lange Zeit ein gelebter Konsens, daß man sich über Fakten (die gibt es wirklich immer noch) und nachvollziehbare Analysen unterhält und diese mitunter gern kontrovers diskutiert. Nun ist das Kontroverse immer noch vorhanden. Allerdings schon fast als einziges Merkmal. Fakten und sachliche Analyse hingegen scheinen kaum noch jemand zu interessieren. Schlimmer noch: wer statt dessen eine differenzierte Betrachtung anmahnt und nicht zumindest zuvor, währenddessen und danach mantraartig das Selbstverständliche (“Ich lehne Gewalt gegen Menschen und Sachen grundsätzlich ab”) wiederholt, ist sofort wahlweise ein linksgrünversiffter Vollidiot oder ein Speichellecker der Polizei.
Geht’s noch?
Trotz aller Empörung dürfte der gesellschaftliche Konsens noch gelten: Gewalt gegen Menschen (egal welcher Herkunft, Hautfarbe, Religion, ob sie nun Bundeswehr- oder Polizeiuniform oder welche Dienstkleidung auch immer tragen) und Gegenstände ist in einem Rechtsstaat (und auch sonst überall auf der Welt) schlichtweg nicht zu tolerieren. Die Gewalttäter gehören ermittelt, vor Gericht gestellt und verurteilt. Aber bitte durch die dafür zuständigen Behörden und Gerichte und nicht durch die BILD-Zeitung oder schnappatmige Politiker. PUNKT.
Noch mal zurück zu dieser oben genannten Konfliktlinie: im Nachgang zu den Ereignissen von Hamburg wird diese (neu) definiert. Nun mag man je nach persönlichen Vorlieben oder Betrachtungen hier einen autoritären Polizeistaat entstehen sehen oder die Linken endlich das bekommen sehen, was sie sowieso schon immer verdient haben. Nur: so funktioniert ein Rechtsstaat nicht. Es geht immer noch darum, was tatsächlich passiert ist und wer wo was gemacht oder eben nicht gemacht bzw. geschlafen hat. Nur so und nicht anders wird ein Schuh draus.
Um diese notwendige Klarheit zu bekommen, braucht es parlamentarische Untersuchungsausschüsse zusammen mit polizeilichen Ermittlungen. Wenn all diese abgeschlossen sind und belastbare Ergebnisse vorliegen, kann man über entsprechende Maßnahmen diskutieren. Und bis dahin mag man gern dieses Geblubber und Rumempören bleiben lassen.
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